So stellt man sich einen Sonnenaufgang in der Wüste vor.
Wir sind zu diesem Zeitpunkt schon seit über einer Stunde munter, denn heute geht es wieder aufs Wasser, mitten in der trockensten Gegend der USA.
Wir haben eine ganztägige Kanutour im Nationalpark Big Bend gebucht, die uns den Rio Grande entlang führen wird. Diesen Giganten von einem Fluss haben wir erst vor zwei Tagen überquert. Gut eine Stunde geht es mit den Kleinbussen samt Anhängern durch den Nationalpark, der seinen Namen übrigens von einer langen 90° Kurve des Rio Grande bekommen hat.
Kanus abladen, Paddel und PFDs (Personal Floating Device – Schwimmweste) ausfassen. Der Guide erklärt uns, dass es im Staat Texas ein Gesetzt gibt, demnach man unter 16 Jahren eine Schwimmweste tragen muss und als Erwachsener, wenn es Stromschnellen mit einem Namen auf der Route gibt. 😉 So ein Glück, die wir heute befahren sind alle namenlos. Also ersparen wir uns die zusätzlich wärmende Schicht. Das Risiko ist bei einer maximalen Wassertiefe von 120 cm kalkulierbar. Dann heißt es die schweren Boote jeweils zu zweit zum Rio Grande zu schleppen, etwa 400m durch den Sand. Gerade neun Uhr, schon über 30°.
Und dann stehen wir vor dem 500 Meter tiefen Santa Elena Canyon, aus dem uns der Rio Grande entgegen fließt. Gegen den mächtigen Strom des Rio Grande werden wir lospaddeln.
An manchen Stellen erreicht der Rio Grande eher die fünf cm Marke und so ziehen wir immer wieder die Kanus flussaufwärts.
Immer weiter geht es flussaufwärts, Schildkröten beobachten uns von ihren sonnigen Plätzen auf den Felsen am Rand des Flusses. Ein blauer Reiher fliegt immer wieder vor uns auf, um nur zehn Meter weiter wieder zu landen. Greifvögel kreisen majestätisch über uns. Plötzlich ist aus dem Canyon vor uns ein Donnern und Dröhnen zu hören. Ein Hubschrauber fliegt um die Biegung vor uns, auf halber Höhe in der Schlucht. In ein paar Tagen werden Teile des Parks für eine Beobachtungsmission und Jagd auf eine überhandnehmende Bergziegenart gesperrt. Der Helikopter fliegt die Strecken testweise ab, denn die Aoudad-Bergziegen können hier nur aus der Luft bejagt werden.
Der Rio Grande ist der Grenzfluss zwischen Mexico und den USA, per definitionem ist der jeweils tiefste Punkt des Flusses die Grenzlinie und die ändert sich im Jahresverlauf. Auf dieser Schotterfläche heißt es also ‚Bienvenido a Mexico‘, wir sind nun offiziell in Mexico.
Vor uns die Schmugglerhöhle, um die sich viele Geschichten ranken. Zum Größenvergleich, der Zugang ist über 50 Meter hoch.
Nach ein paar Stunden erreichen wir eine Schotterbank, auf der wir Mittagspause machen. Unser Guide Brandon verschwindet für etwa 15 Minuten und kommt dann von der mexikanischen Seite des Flusses zurück. Dort gibt es den Fern-Canyon, benannt nach dem Farn, der dort wächst. Er hat ausgekundschaftet, wie wir am besten dorthin kommen.
Wir paddeln auf die andere Seite des Flusses und ziehen die Kanus auf eine Sandbank. Hier warten wir erst durch den Schlamm am Ufer und schlagen uns danach durch das Schilfdickicht.
Dahinter erreichen wir den Zugang zu der kleinen Schlucht, vor der ein tiefes Schlammloch den Weg versperrt. Mit einem Kanu als Brücke kommen wir auf die andere Seite, von wo an es kletternd weitergeht. In der Mitte des Bildes, im orangenen T-Shirt ist Senor Cravallo, ein Mexikaner der mit seiner amerikanischen Ehefrau und seinen drei Kindern das tolle Erlebnis hat zum ersten Mal in seinem Leben in einem Nationalpark zu sein. Anders läßt sich sein ständiges Schreien, Pfeifen, Grölen, lautes Kommentieren von allem und jedem und ‚Echo‘ rufen nicht erklären.
Babsy und eine ältere Dame beschließen die Kletter- und Schlammtour nicht mitzumachen und warten hier. Ob das eine schlaue Entscheidung war? 😉
Über etliche Felsbrocken geht es nach hinten und es wird merklich kühler, der Canyon hat hier ein eigenes Mikroklima.
Arno hat die Chance eine ganz eigene Form eines Tropfsteins zu sehen. Quellwasser wäscht hier den Kalkstein aus und so wächst er aus der Wand wie eine Beule, statt Stalaktiten und -miten zu bilden. Durch die Feuchtigkeit hat sich Farn angesiedelt, der den Tropfstein überzieht.
Babsy hört inzwischen Geschichten über die Zeit als Lehrerin, denen sie sich nicht entziehen kann.
Durch eine Engstelle, genannt der Geburtskanal kriecht die Gruppe dem herabrinnenden Quellwasser entgegen. Arno spürt die angenehme Kühle des Wassers.
Babsy erfährt gerade, dass unser Guide Brandon der Sohn der älteren Dame ist und sie sich so sehr wünscht, dass er auch Lehrer wird und nicht seine Zeit hier in der Wüste verplempert.
Auf der nächsten Ebene angekommen bewundern die Canyonbegeher weitere Farne. Auch wenn sie von Fluten regelmäßig weggespült werde, kommen sie jedes Jahr wieder zurück.
Auch bei Babsy gibt es neues: Pilot, ihr Ehemann war Pilot und ist nun über 65 und darf daher nicht mehr fliegen. Damit er wenigsten ein bißchen mit dabei sein kann, hat er in der Pension einen Halbtagsjob auf einem kleinen Flughafen angenommen. Babsy rauschen langsam die Ohren.
Auch im Canyon wird es enger, eine weitere Kletterpassage steht bevor. Der Ehemann ist übrigens mit Arno im Fern-Canyon, sehr zum Missfallen seiner Frau, denn er hat Rückenschmerzen und sollte so etwas nicht tun.
Mit Schmerzen durch den Schlamm kriechen und über Felsen klettern, warum tut er das wohl, fragt sich Babsy.
Immer an der Wand lang, nicht abrutschen, sonst endet man in einem Tümpel mit dem sogenannten Texas Toebiter, einem großen Käfer mit Zangen, der einen ordentlich zwicken kann. Die letzte Phase des Aufstiegs hat begonnen.
Auch bei Babsy ist das Crescendo erreicht. Aus Österreich also! Ja, die geneigte Leserschaft weiß, was jetzt kommt. Sound of Music ist ja ein so toller Film …
Von all dem bekommt Arno nichts mit, er gibt Acht nicht auf den glitschigen Algen auszurutschen.
Bei ihrer Großtante haben sie damals gewohnt, die Familie Trapp, die Helden von Sound of Music. Und sie haben in der Ortschaft auch gesungen, mehrmals sogar. Babsy dröhnen die Ohren.
Arno macht sich mit der Canyon-Gruppe auf den Weg zurück zum Rio Grande, alle haben ob des Erlebten ein Lächeln im Gesicht.
Babsy hat Tinnitus.
Der Weg flussabwärts geht natürlich schneller, einige Stellen, die zuvor wegen der Strömung schwerer zu bewältigen waren, sind jetzt schnell überwunden. Ein paar Kurven haben es in sich. Zu guter Letzt zeigt der abendliche Wind, was er gemeinsam mit einem engen Canyoneingang so kann. Hört man auf zu paddeln geht es tatsächlich flussaufwärts, so stark bläst der kanalisierte Wind.
Nun noch die Kanus über den sandigen Boden zum Anhänger schleppen. Literweise rinnt das Wasser die Kehlen hinunter und auf der Rückfahrt ist es recht ruhig im Auto, alle sind erledigt. Nur wenige sehen die fünf Roadrunner (meep-meep), die vor uns über die Straße laufen.
Die Sonne geht unter, als wir erledigt bei unserem Häuschen ankommen.
Gute Nacht, liebe Leserschaft.
PS: Gute Nachrichten, das Dröhnen in Babsys Kopf hat sich nach dem ohnmachtsartigen Schlaf gegeben.